Coaching, gut oder kann das weg?

Mit Coaching zum Leadership

Systemik ist hilfreich, aber heute nicht ausreichend.
ambimotion

Was fehlt, wenn man systemisch "draufguckt"?

Spoiler heute wird's erst mal etwas theoretisch. Es klingt hart, aber im Rahmen der sehr guten Ausbildung zum Professional Business Coach an der Universität Bielefeld, die zu meiner Zeit primär systemisch-konstruktivistisch ausgerichtet war, fehlte mir plötzlich etwas. Alles klang toll, es gab viele systemische Coaching-Instrumente zu lernen, die den Coachees (also den zu Coachenden) durch Fragen helfen, mit ihren Themen letztlich klarzukommen. Dieses Handwerkszeug ist im Coaching Gold wert. Es eröffnet fast mechanisch Lösungsräume des Coachees. Der Coach hält sich mit jeglicher Interpretation und Bewertung zurück. Der oder die Coachee - also der Kunde - bleibt Herr oder Frau des Prozesses. Nur so entstehen wirklich passende Lösungen für das jeweilige Individuum. Soweit so gut. Doch ist Systemik nicht genug, die Seele und die Bedeutung der Person - das Existenzialistische mit Werten , Ängsten und Träumen fehlt. Rollen im bestehenden System kann man mit systemischem Coaching jedoch sehr gut analysieren und bewegen. Komplexität reduzieren ist da das Zauberwort.

Systemik ist der Bauhausstil des Coachings

Das heutige systemische Coaching geht unter anderem auf Niklas Luhmann, Soziologe an der Uni Bielefeld, zurück. Er ist der Vater der soziologischen Systemtheorie, aus der sich das systemische Coaching ableitete. Den Luhmannschen Zettelkasten kannte ich aus einer Ausstellung in der Bielefelder Kunsthalle. Ein Sammelsurium von Ideen und Verknüpfungen, sortiert und durchnummeriert in einem riesigen Karteikasten – schon da wurde klar, dass Luhmanns Denksystem komplex ist, man aber entlang eines Weges darin zu immer neuen möglichen Verknüpfungen kommen kann (Subsysteme). Komplexität reduzieren, das ist die Aufgabe im Leben. Paradox, denn das Leben wird immer komplexer. Ein Grund , dass Coaching bedeutsamer wird. Manche Wege müssen erst mal gefunden werden in neuen Kontexten.

Das Luhmannsche Zettelsystem war in sich nicht abgeschlossen, aber äußerlich streng geordnet. Für Luhmann war alles eine Frage des nach außen abgegrenzten Systems. Die Beobachtung reduzierte sich auf eine möglichst kleine, nach Regeln und Ablaufmustern gut handhabbare Einheit – im Coaching bedeutet das zum Beispiel, ein Team in einem Unternehmen oder auch eine Familie oder nur eine Person zu »beobachten«. Coaching ist in erster Line Beobachtung und Spiegelung seiner Wahrnehmung an den Coachee.

Das so betrachtete System des Coachees definiert sich in der Differenz/Abgrenzung zu anderen Systemen und zur umgebenden Umwelt. Impulse aus der Umwelt sind in der Lage, das System zu verändern. So wirkt systemisches Coaching. Der zu Coachende bekommt – sehr gezielt – immer wieder Wahrnehmungsbrocken hingeworfen, an denen er sich abarbeiten muss.

Trotz einer kurzen Hinwendung zum Humanismus und zur Phänomenologie im Studium zum Professional Business Coach, ging es zumindest mir auf den ersten Blick zu wenig um den Menschen – die Person – selbst. Das System war erst mal das Bestimmende. Für Unternehmen ist das nicht unlogisch.

Die Person findet sich in einer definierten Rolle im System zurecht und muss ihren Platz finden. Passt sie nicht, ist sie nach Ansicht der Systemiker und Konstruktivsten austauschbar. Das ist theoretisch zwar nicht falsch, denn das System, in dem sie sich befindet, ist fürs eigene Überleben darauf angewiesen, dass immer alles passt, dass die Person darin ihre Rolle erfüllt. Jedoch fehlt die Betrachtung des Individuums und der darin liegenden Entwicklungschancen und Potenziale des Systems, diese liegen allein in den Menschen. Systemisches Coaching ist sehr funktional. »Ich muss funktionieren«, »Jeder ist ersetzbar«. Die Systemik ist daher gut für Coaching in Organisationen mit klarem Fokus und stabilem Geschäftsmodell geeignet.

Zu bedenken ist dabei: Unternehmen sind nicht zwangsläufig logisch unterwegs. Familien noch viel weniger. Wie klar der Fokus wirklich ist – oder eben nicht – zeigt sich oft erst in Coaching und Beratung.

Das Bauhaus war großartig in seiner Funktionalität und bot notwendige Klarheit und Struktur »form follows function«. Jedoch waren das auch die Romanik und die Gotik, die es beide schafften neben der Konstruktion mit diversem Zierrat persönliche Geschichten zu erzählen von Gott und der Welt … existenzialistisch. Der Bauhausstil war großartig und notwendig in seiner Zeit. Als Gegenpol zum gutbürgerlichen, verspielten Dasein. Er war sich selbst genug und bot unbestechliche Klarheit.

Systemik ist richtig gut, wenn man die Methoden gut anwendet, nur haben wir es im Coaching mit Wesen zu tun, das englisch so schön neutral formulierte »beeing« ist in unserem Falle das human beeing. Mensch, Person, nicht Rolle. Gespür ist realiter wichtig, um ein System am Leben zu erhalten. Das Gespür muss in Handlung transformiert werden. Gute Entscheidungen werden aus Gespür der Personen geboren. Das ist Existenzialismus, sozusagen die notwendige Bedingung, um zu Leadership und damit zu zufriedenem Arbeiten zu finden.

Der Existentialist schaut zur Analyse viel tiefer in die Bedürfnisse des Menschen, es geht um die Grundmotive des Daseins. Prof. Dr. Alfried Längle, mein sehr geschätzter Lehrer im existentialistischen Coaching, spricht aufbauend auf die Lehren von Viktor Frankl, der das KZ überlebte – von Grundmotivationen. Die gilt es zu untersuchen, um wirklich gute Entscheidungen für sich selbst und für die Fragen, die die Welt an uns richtet, zu treffen.

Warum bin ich hier und wozu bin ich da, was macht mich aus? Eine wesentliche Fragestellung im Coaching, die dazu dienen kann, die reale Welt der vermeintlich soliden und stabilen Systeme zu verbessern. Denn die Menschheit ist derzeit mal wieder an einem Scheideweg angekommen. Diesmal ist er sehr existenziell, da unsere biologischen Grundlagen in Gefahr sind. Die Parameter sind so arg gestört, dass die Überlebensfähigkeit unserer relevanten Umwelt infrage gestellt wird. Hinzu kommen ganz aktuell global soziale Verwerfungen.

Das spüren wir in unserer Gesellschaft sehr stark derzeit. Alte und neue Ängste brechen auf – etwas anders als man sie kannte.  Es – das Leben – wird immer schneller. Herausforderungen wachsen uns über den Kopf. Fragen werden gestellt, was noch kommt und wie es weitergehen soll. Und so wird geklebt und gehetzt – es werden wieder Sündenböcke gesucht – weil das Leben aus den gewohnten Fugen gerät und es nur am Außen liegen kann in unserer ersten Interpretation. Wer will schon Aufgaben mitnehmen, die die Welt uns aufgibt. Die anderen sind daher schuld, die anderen müssen was tun, das ist einfach so.

Die Welt so zu sehen, ist erst mal menschlich. In Wahrheit fragt uns die Welt intensiv an, ob wir noch die richtigen Lösungen haben. Durch Kriege, Konflikte, Klimafolgen usw. Corona hat uns bereits gesellschaftliche Grenzen menschlichen Daseins gezeigt. Und das Klima kommt noch obendrauf. Dazu die daraus resultierenden Verzweiflung, die nach einfachen Lösungen sucht und in extremen endet. Da plant man denn lieber zum Mars zu fliegen, als neue Herausforderung, wenn die irdische nicht stemmbar ist und vor die Wand gefahren zu sein scheint. Das lenkt ab.

Zu erkennen, dass Lösungen ausschließlich aus jedem einzelnen kommen, da müssen wir ran, wenn wir individuell, aber auch gemeinschaftlich wachsen wollen. Für Lösungen brauchen alle Mut zur Gestaltung. Halt und Vertrauen müssen ausgebildet werden. Die Systemik ist dabei – trotz aller Kritik – der stabile Boden, auf dem menschliches Wachstum gedeihen kann. Der Existenzialismus ist das Herz und Gespür.

Ich lasse Systemiker also selbstverständlich bestehen, wir brauchen die Systemik als Basis, aber wir ergänzen sie um den Existenzialismus, um zu einer ganzheitlichen menschlichen Sicht auf die handelnden Systeme zu gelangen, damit diese weder erstarren noch aus dem Ruder laufen.

Hier geht's zum weiterführenden Text zum Studium des Professional Business Coachings.

Woher wir kommen – wohin wir gehen

Wir kommen aus einer Welt, in der bestimmte Organisationen und Aufgaben sehr lange Bestand hatten. Die jüngeren Generationen kennen schon Agilität und Start-up-Mentalität. Da kehrt wieder der Zierrat ein, manches kann weg, anderes hilft weiter. Hart systemisch gedacht, war noch das heute unter dem Taylorismus verstandene funktional ausgerichtete Prozessmanagement. Das bleibt wichtig für Unternehmen reicht aber nicht mehr aus, da alles »fluid« geworden ist.

Den Älteren – oft Boomer – fällt das Agile, das Neue nicht unbedingt leicht. Das ist noch nicht eingeübt und wird nicht für notwendig erachtet, bringt doch nur Unruhe. »Es läuft doch gut!« »Ja, aber ggf. vor die Wand« möchte man antworten. Systemisches Coaching versucht diese Unruhe in den Menschen und Systemen sogar auszulösen, um zu bewegen und Muster zu durchbrechen. Auf ein geeigneteres Level für die Zukunft zu bringen. Dies ist ein stetiger Prozess.

Was derzeit – Stand September 2024 - zum Beispiel bei Volkswagen und anderen vermeintlichen Dinos der deutschen Automobilindustrie passiert, ist das Ergebnis von Entwicklungen im Umfeld (vor allem in den USA: Tesla und inzwischen mit Vehemenz China mit BYD, Xiaomi, Li und Co), die man hierzulande lange nicht als Konkurrenz wahrhaben wollte, nun aber im In- und Ausland strukturell reagieren muss.

Das alte, bequeme System, das immer gut und richtig war, funktioniert nicht mehr. Ganze Unternehmen werden – scheinbar plötzlich – von Irritationen meist von außen überrollt, nur leider nicht systematisch planbar, wie es gutes Coaching mit dem nötigen Vertrauen darin, hätte vorbereiten können. Zum Beispiel Autos sind für viele gefühlt über Nacht zu Computern geworden, die auf die Welt des autonomen Fahrens vorbereitet werden, das geht nur elektrisch, denn niemand will im autonomen Fahrzeug einen Verbrennungsmotor starten. Gespürt haben das alle aber noch nicht realisiert. Notwendigerweise stabile Systeme waren zu träge. Während sich neue Marktteilnehmer wie Tesla völlig neu aufbauen konnten »from scratch«, teuer, aber leichter und unbelastet.

Auch der ÖPNV ist übrigens massiv betroffen, denn der Wunsch der Menschen nach Individualität ist ungebrochen und kann in Zukunft teilweise durch autonomes Fahren mit weniger Stau befriedigt werden. Es wird noch »Klassen« und spezielle Situationen geben: ganz individuell, Sammeltransporte und bequeme mobile Arbeitsräume und weiterhin die Schiene als schnelles Massenverkehrsmittel, die aber ihr Image aufpolieren muss. Die »Holzklasse« mit Deutschland-Ticket wird es weiterhin geben, solange es Einkommensunterschiede und Unterschiede in den Anlässen (z. B. Schule oder die Fahrt zum Stadion) gibt. Der gut verdienende »Rest« lässt sich schick und bequem von Tür zu Tür möglichst ohne Umwege und Stopps chauffieren – vom autonomen Auto oder fährt Fahrrad.

Fazit

Systemisch/konstruktivistische Ansätze des Coachings arbeiten eher mit/in den Rahmenbedingungen (Systemen/Mustern/Konstruktionen) des Coachee oder auch einer ganzen Organisation. Sie befassen sich mit der Rolle (=funktional) des Menschen im System und wenden hier verschiedene Instrumente, je nach Situation an, um das System zu bewegen und entwickeln – Muster zu verändern. Coaching kann helfen, die gewohnten Strukturen und Konstruktionen behutsam auf eine neue Ebene zu heben.

Humanistische Ansätze arbeiten existenziell (existenzielles Coaching) mit Emotionen und Werten des Coachees und sind sehr nah bei der Person und seinen individuellen Bedürfnissen und Entscheidungen. Im Beispiel bedeutet, dass, dass die Prägung des Coachees in die neuen Konstruktionen als Kompetenz (Erfahrung) behutsam mit eingebaut wird.

Die Phänomenologie liegt als Methode bzw. Analyse-Instrument betrachtet dazwischen, da sich sowohl konstruktive Phänomene zeigen können, als auch solche auf emotionaler Ebene. Der Coach ist immer Beobachter und lässt den Coachee auf sich wirken. Im Beispiel kann phänomenologisch geklärt werden, ob sich der Coachee etwa in einer neuen, gegebenenfalls sogar widersprüchlichen Rolle wohlfühlen kann und was er oder sie dafür benötigt.

Lösungsorientiertes Coaching, versucht i. d. R. schnell akzeptable Ergebnisse zu erzielen für ein sehr konkretes oder dringliches Problem: Etwa einen Konflikt – wobei man da den Begriff »Lösung« weit fassen muss. Es ist unterstützender im Hinblick auf konkrete Vorschläge und wird oft mit Beratung verbunden.

Letztlich führen alle Coachingformen zu Lösungen, jedoch ist eine Organisation heute in einem ständigen Flow und mit ihr die Menschen darin. Je besser jeder weiß, was für ihn oder sie gute Entscheidungen sind, desto besser geht es der gesamten (unternehmerischen) Konstruktion. »Die eine Lösung« ist eine Illusion, die Im Wahlkampf versprochen wird, nur: Es gibt immer einen Blumenstrauß an möglichen Wegen.

In disruptiven Märkten sucht man nach den besten zielgerichteten Lösungen mittels Coaching. Es hängt sehr oft an den Kompetenzen und Fähigkeiten der Individuen im Unternehmen, ob Change zum Erfolg wird. Hier ist Existenzialismus wichtig, da es Einzelne sein können, die den Unterschied machen. Unternehmerpersönlichkeiten auf allen Ebenen einer Organisation sind dann wichtig.


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